Aufruhr im Advent

Knut Wagner: „Hartnäckigen Gerüchten den Garaus zu machen und einer fragwürdigen DDR-Nostalgie entgegenzuwirken, waren Gründe für diesen Film.“

In „Aufruhr im Advent“ berichten sieben Mitglieder des ehemaligen Bürgerkomitees, was sie empfanden, als sie die Kreisdienststelle des MfS in Schmalkalden verwalteten. Jedes Mitglied reflektiert auf seine Weise die Ereignisse im Dezember 1989 – vom Stasi-Sturm bis zur Auflösung der Kreisdienststelle am 13. Dezember. Aus der Summe der Stimmen ergibt sich, wenn auch nur fragmentarisch, was sich damals ereignet hat und wie dieses einmalige geschichtliche Ereignis in Schmalkalden aus heutiger Sicht gesehen wird.

Es wird filmisch dokumentiert, wie sich im Kleinen Großes vollzog und wie sich ein Stück deutscher Geschichte im Spiegel der Kleinstadt Schmalkalden liest.


Auszug aus „Ein Pensionär verewigt eine Stadt im Taumel“

Schmalkalden – In den Hörsaal der Fachhochschule Schmalkalden drängen die Menschen, zwängen sich in die schmalen Reihen, stehen am Rand, sitzen auf den steilen Treppen. Der Audimax stößt an die Grenzen seiner Kapazität. Das ist kein Zeichen des Bildungsnotstands. Sondern dafür, dass das Thema Wende auch nach zehn Monaten Jubiläumsjahr alles anderes als totgeredet ist.

Kein Zweifel: Mit dem Film „Aufruhr im Advent“ hat Wagner einen Nerv getroffen. Das Werk zeichnet am Beispiel von Schmalkalden nach, wie eine Situation außer Kontrolle geraten kann und wie eine Revolution diejenigen zu überrollen droht, die sie zuvor angeschoben hatten.

Kern der Dokumentation sind Interviews mit einer Reihe von Zeitzeugen, die damals das Geschehen prägten. Da Knut Wagner selbst Mitglied des Bürgerkomitees war, gelingt es ihm, tiefer in die Motive der Beteiligten einzudringen und ihre Gedanken und Gefühle freizulegen. Manches kommt ans Licht, dass eher menschlich als heroisch anmutet. Hartmut Johannes und Reinhold Mau gestehen die Angst ein, die sie empfanden. Erzählen von hektischen Versuchen der Kirche, die Situation zu beruhigen.

Von der Gänsehaut bei den Rufen, die Stasi-Schweine aufzuknüpfen. Timo Bamberger, damals 21 Jahre jung, berichtet von der Abenteuer-Lust des jugendlichen Übermuts, der im Rückblick nicht immer als besonnen gelten muss.

Diese Gespräche verwebt Wagner miteinander. Und garniert sie mit historischen Fotos. Weihnachtsmarkt-Szenen illustrieren die absurde Schizophrenie jener Tage: Als das Regime längst Internierungslager für seine Gegner auch in Thüringen plante, versuchte es gleichzeitig krampfhaft, die kleinbürgerlich-sozialistische Idylle aufrecht zu erhalten. So ist „Aufruhr im Advent“ mehr als eine 60 Minuten währende, spannende Nacherzählung eines Stücks Regional-Geschichte. Das macht den Film sehenswert. Etwas Melancholie schwingt mit. Auch im minutenlangen Beifall, mit dem das Publikum den Streifen und seinen Autor am Ende der Premiere feiert, liegt eine Spur Wehmut. Dieser Zuspruch zeigt: Viele Menschen wollen dieses Thema lange nicht zu den Akten legen. Dafür geht es ihnen noch immer viel zu nah.

Frank Hommel, Freies Wort, 29. Oktober 2009


Auszug aus „Die Angst der Revoluzzer im Gartenweg“

Schmalkalden/Asbach – „Einmal hat Schmalkalden nicht geschlafen!“ Knut Wagner bringt es auf den Punkt. Denn was am Nikolaustag 1989 in der Provinz passierte, brachte Schmalkalden in die ARD-„Tagesschau“. „Schmalkalden hat damals Geschichte geschrieben.“

Am 6. Dezember 1989 stürmten rund 2000 Bürger die damalige Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit und das war, wie die ein Jahr dauernden Recherchen von Ursula und Knut Wagner ergaben, einmalig in der damaligen DDR. „So heiß wie hier und in diesem Ausmaß war es nirgendwo“, stellt Knut Wagner fest.

Mit „Aufruhr im Advent“ wird der Versuch unternommen, ein bedeutendes Stück Schmalkalder Stadtgeschichte für die Nachwelt erlebbar zu machen. Es sei ihm darum gegangen, so lange es noch möglich ist, Zeitzeugen unabhängig voneinander zu befragen, diese Aussagen mit Dokumenten zu untersetzen und alles zu bündeln. In kriminalistischer Kleinarbeit kamen so sechseinhalb Stunden Filmmaterial zusammen.58 Minuten sind nun auf DVD gebrannt.

Was ein bloßes schriftliches Überliefern von Geschichte nicht vermag, leistet der Film. Die Emotionen und Beweggründe der Zeitzeugen werden hautnah nachvollziehbar. Die Rolle von Pfarrer Reinhard Naumann, der ein Blutvergießen verhinderte, wird im Film dokumentiert. Aber auch viele andere, bis heute nicht bekannte und überraschende Tatsachen zeigt der Film auf.

(swo), Freies Wort, Oktober 2009