Prinz Homburg und die Schwalben

Was zwingt Wolfgang Bruckner sich ferner Lebenslandschaften, eigener und fremder, zu erinnern?
Das schlesische Dorf, das er kurz nach seiner Geburt verließ und erst nach dem Tod seines Vaters mit seiner Mutter besucht, ist ihm fremd; den Reisekorb auf Rädern, mit dem die Bruckners bei Kriegsende flohen, hat er im Hof eines Neubaus verbrannt.
Doch eine Kindheit hindurch beflügelte die Großmutter mit ihren Geschichten seine Phantasie, lebte er mit Überliefertem wie mit Freunden und Nachbarn, mit seinen Träumen und den Schwalben im Hinterhof. Auch im großstädtischen Dombrücken und während des Studiums, als Lehrer in einem abgelegenen Dorf und später in der Gebirgsheimat seiner Frau, bleibt ihm Vergangenes nah. Kann er deshalb nirgendwo richtig wurzeln und will immer etwas anderes sein, als er ist?
Mit dem heranwachsenden Sohn reist er in die kleine Stadt seiner Kindheit zurück; ihre Gerüche und Farben, ihre vielstimmigen Geschichten und seine einstigen, romantischen Erwartungen rücken ihm wieder sehr nah. Doch die Großmutter ist längst tot. Die Schwalben sind verschwunden, und auch sein Traum, Schauspieler zu werden, ist ausgeträumt …


„Eine Schwalbe …“

Knut Wagner: „Prinz Homburg und die Schwalben“, Mitteldeutscher Verlag, Halle-Leipzig

„Prinz Homburg und die Schwalben“ also. Heinrich von Kleist aber liefert nicht die Idee zu Knut Wagners Roman, er lieh den Namen nur, da der Held des Buches, Wolfgang Bruckner, in eben dieser Partie an der Schauspielschule Schönewalde durch die Eignungsprüfung fiel.

Knut Wagner nimmt aus dem ihm vertrauten Erlebens- und Erfahrungsbereich seinen Stoff und auch die ihn strukturierende Idee.

Wagner erzählt vom Erwachsenwerden, von der Suche eines einzelnen nach den Ursprüngen, nach Geborgenheit. Er erzählt das in miteinander verschränkten Episoden, in wechselnden Erzählperspektiven, immer aber aus der Sicht der einen Figur, und mit Rückgriffen.

„Irgendwo muss der Mensch ein Zuhause haben“, sagt Bruckner, Unbehagen nach zweijähriger Lehrertätigkeit verspürend.

Rainer-K. Langner


Unterwegs zu sich selbst

Bemerkungen zu Knut Wagners „Prinz Homburg und die Schwalben“, Roman, Mitteldeutscher Verlag Halle – Leipzig

Wer sich die Lesezeit nimmt, die ersten Seiten von Knut Wagners Roman „Prinz Homburg und die Schwalben“, auf denen nichts allzu Aufregendes passiert, zu bewältigen, wird dann mit Geschichten belohnt, die interessant sind.

Erzählt wird über einen Helden, der sich in einer Krisensituation befindet. Wolfgang Bruckner, Anfang dreißig, Lehrer, vermag in seinem Beruf, den er ohnehin nur halbherzig wählte, nicht das zu leisten, was er sich einst vorgenommen hatte. Hinzu kommen noch Schwierigkeiten in der Ehe.

Der Roman lebt sehr stark von Reflexionen, von Geschichten und von Geschichte. Sie ergeben sich nicht geradlinig aus dem Gang des Erzählens, sondern sind gleichsam puzzleartig über den gesamten Text verstreut. Erst auf der letzten Seite kann sich der Leser ein Bild machen über den Helden, seine Eltern und Großeltern, seine Freunde, seine Befindlichkeit.

Vieles wird nur angedeutet. manches breit erzählt. Heraus kommt dabei einiges Bemerkenswerte, das zu mancherlei Fragen herausfordert, Fragen über die Rolle des Lehrers in unserer Gesellschaft, über die Beurteilung von Schülern, über Möglichkeiten und Grenzen der Selbstverwirklichung des Individuums – um nur einige zu nennen.

Dr. H. J. Kertscher


Was ist überhaupt mitteilenswert?

Knut Wagners Debüt „Prinz Homburg und die Schwalben“ (Mitteldeutscher Verlag) gehört zu den Büchern, in denen junge Hauptgestalten über sich selbst und ihren Werdegang reflektieren.

So erzählt Wagner, selbst Jahrgang 1945, Lehrer für Geschichte und Deutsch, die Lebensetappen des gleichaltrigen Lehrers Wolfgang Bruckner.

Da begegnen uns dann in vier voneinander unabhängigen, in sich geschlossenen Episoden, Kindheitseindrücke und berufliche Erfahrungen der Hauptgestalt. Beziehungen zu Großeltern und Eltern, zu Freunden und Partnern. Wünsche, Träume und Lebensvorstellungen kommen ins Bild.

In der zweiten Episode beweist der Autor Erzähltalent, indem er die Schwierigkeiten seines Helden als junger Lehrer auf dem Lande sowie in der Partnerbeziehung schildert. Hier wird dann auch der eigentliche Konflikt seines Helden sichtbar: die Diskrepanz zwischen Interessen und objektiven Gegebenheiten. Leider muss man sagen, dass dieser Konflikt lediglich „hindurchschimmert“.

Gute DDR-Prosa ist dadurch gekennzeichnet, dass in den Ereignissen des individuellen Lebens größere gesellschaftliche Eindrücke transparent werden. Eine solche Leistung hat Wagner mit seinem Debüt noch nicht vollbracht. Mangelndes Zeit- und Wertgefühl fällt hier auf deprimierende Weise ins Auge.

Dr. Marianne Krumrey, Berliner Zeitung, 23. 10. 1982